Tuesday, May 23, 2006

Therapie

1 Comments:

Blogger sonyca said...

Therapie
Merla unterhält sich gern mit Lexi, weil Lexi seltsam ist und stolz darauf. Hier im Wald fällt sie nicht so auf, wie sie das unter Leuten tun würde, die sich selbst als normal bezeichnen. Hier draußen im Wald wären die Normalen die Ausnahme, aber es verirrt sich ja keiner von denen je hierher. Die Gemeinschaft hier draußen ist bunt zusammengewürfelt, und ihre große Gemeinsamkeit ist die, dass sie anders sind. Was immer anders heißt.

“Als ich zuerst hier raus gekommen bin, war das für mich wie eine Therapie. Auf einmal war ich nicht mehr die Außenseiterin, die ganz offensichtlich nicht ganz richtig tickt, weil sie sich nicht anpasst. Hier draußen waren alle unangepasst, hier war jeder anders, und keinen hat’s gestört. Ich hab’ dieses Gefühl der Ausgestoßenheit früher auch oft unter anderen Künstlern gehabt. Entweder du hast dich deren Normen angepasst, oder sie haben dich nicht reingelassen in ihren erlauchten Kreis. Das war eine der härtesten Erfahrungen, die ich bisher gemacht habe. Es ist ja nicht so tragisch, von denen ausgestoßen zu werden, zu denen du eh nicht gehören willst. Aber wenn die, zu denen du dich eigentlich zählst, dir sagen, dass du nicht dazugehörst, das ist schon bitter. Das hat dann auch prompt zu einer Identitätskrise geführt, aus der ich erst wieder rausgekommen bin, als ich Rita getroffen habe. Sie hat mich hierher geschleppt, und seitdem bin ich hier. Hier draußen gibt es kein drin oder draußen. Wenn du hier bist, bist du eine von uns. So einfach ist das.”

“Ich hatte in der Schule nie das Gefühl, anders zu sein. Ich hatte genug Freunde da, die selbst nicht der Norm entsprachen. Aber die meisten von denen sind woanders hingegangen zum Studieren, und die, die hiergeblieben sind, haben sich durchs Studium immer weiter an die Norm angenähert, bis wir auf einmal auf verschiedenen Seiten standen. Viele von den Leuten, die heute noch hier sind, haben kein Verständnis mehr für mich. Und umgekehrt. Ich meine, wir hatten Träume, wir hatten Ziele, was ist daraus geworden? Es sieht so aus, als sei ich die einzige, die ihre Träume wahrmachen will.”

“Ich glaube, es gibt einen Punkt, an dem du dich entscheiden musst, ob du deine Träume verfolgen oder dir realistische Ziele setzen willst. Die meisten Leute haben nicht den Mut, den Traum zu leben. Die werden dann eben erwachsen und unglücklich. Sei froh, dass du nicht so bist. Wenn ich mich entscheiden müsste zwischen reich und angepasst und arm und glücklich, würde ich immer letzteres nehmen.”

“Du verdienst doch gar nicht schlecht mit deinen Skulpturen.”

“Ja, seit einem Jahr oder so. Davor hab ich manchmal nicht gewusst, wie ich mein Essen bezahlen soll. Aber ich habe nie ernsthaft ans Aufgeben gedacht.”

1:56 PM  

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